Purchasing by Design: Strategie gegen Beschaffungsprobleme bei Neuentwicklungen

Auswahl und Bestellung in der Design- und Entwicklungsphase – frühzeitige Planung mit angepasstem Entwicklungsprozess zur Beschaffung elektronischer Bauteile

Die Beschaffungssituation in der Elektronikbranche hat sich in 2021 weltweit derart verschärft, dass Lieferzeiten von 40-100 Wochen für unterschiedlichste Bauteile fast an der Tagesordnung sind. Dabei sind nicht nur Microcontroller betroffen, sondern auch Standardbauteile wie Kondensatoren oder Stecker. Auch bei den Rohstoffen für Leiterplatten oder Kunststoffen sind inzwischen erhebliche Verknappungen und damit auch Preissteigerungen zu verzeichnen.

Bereits 2019 hatten wir in unserem Newsletter berichtet, dass durch internationale Entwicklungen das Thema Bauteile-Obsoleszenz in den nächsten Jahren noch deutlich an Brisanz zulegt: Neue Megatrends in der Elektronik benötigen erheblich mehr Bauteile durch höhere Stückzahlen, steigende Funktionalität und kürzere Lebenszyklen.

Aktuell ist die globale Corona-Pandemie nicht die einzige Ursache der Lieferprobleme. Gleich mehrere Gründe haben seit 2020 mit steigender Tendenz die Lage verschärft:

–          Feuer und Hitze in Asien, mehrere Werke für verschiedene Rohstoffe waren durch Brände betroffen

–          Kältewelle in den USA (Florida, Texas), Ausfall von Chipwerken, Stromausfälle

–          Logistikprobleme für See und Luftfracht, Transportkosten von China steigen um Faktor 5-10

–          Globaler Rohstoffmangel bei Kupfer, Harzen, Kunststoffen u.v.a.m.

Wenn kleine Ereignisse hinzukommen, wie der Unfall der „Ever Given“ auf dem Suezkanal, sind die Auswirkungen direkt spürbar. Immerhin hat ein modernes Containerschiff Ladekapazitäten von über 20.000 Containern. Aber auch der Handelskonflikt zwischen China und dem Westen wird sich künftig noch weiter auswirken. Die Tendenz für das neue Jahr 2022 sieht daher leider nicht gut aus, Allokationen und Preissteigerungen werden noch für das gesamte Jahr und darüber hinaus bestehen bleiben. Demgegenüber steht ein Wachstum im Halbleitermarkt von über 25 %, dass die World Trade Statistics (WSTS) im August 2021 prognostiziert hat.

Welche Strategien können insbesondere bei neuen Produktentwicklungen helfen?

GED bietet den Kunden im Rahmen der Design- und Entwicklungsaufträge auch den Service der Baugruppenfertigung für Muster und Kleinserien, inklusive der Materialbeschaffung. Der besondere Vorteil liegt darin, dass sich ein Team mit speziellen Elektronik- und Marktkenntnissen um die Beschaffung kümmert, auch um die sogenannten „schwerbeschaffbaren Bauteile“. In der aktuell angespannten Lage helfen aber leider auch nicht mehr die guten Quellen oder der Einkauf über zertifizierte Broker.

Das Unternehmen hat deshalb auf die Situation mit einer angepassten Strategie reagiert und gute Erfahrungen gemacht. Die Beschaffung wird bereits parallel zum Designprozess durchgeführt. Bei der Auswahl der Bauteile recherchieren die Entwickler die Verfügbarkeit – die Bestellung muss dann natürlich möglichst zeitnah erfolgen. Das ist zwar aufwendig und zieht teilweise auch mehrere Bestellvorgänge nach sich. Idealerweise liegen dann aber zum Designende bereits die Bauteile für die Bestückung bereit. GED empfiehlt den Kunden, die Materialbeschaffung gleich mit dem Designauftrag zu platzieren. Wir unterstützen sie dann schon beim „Design in“ mit der Beschaffung des Materials.

Hier die Vorschläge aus dem GED-Newsletter 2019, die heute um so mehr gelten:

Beschaffung mit Weitsicht

Das bedeutet, in der Entwicklungs- und Designphase ist es zukünftig wichtiger denn je, besondere Vorkehrungen im Hinblick auf Obsoleszenz und lange Lieferzeiten zu treffen. Natürlich wäre die erste Forderung stets, eine Second Source zu bestimmen. Das ist leider nicht immer möglich. Dagegen sind Regelungen, wie nur ein bestimmtes Fabrikat für Keramikkondensatoren festzuschreiben, sehr eingrenzend und gefährlich. Der Einsatz von speziellen Modulen, z. B. Powermodule, ist in der Regel auch damit verbunden, dass ausschließlich Bauteile von einem Hersteller verwendet werden müssen.

Aber womit fängt die Lösung des Problems dann an? Bei der Bauteile-Auswahl steht der Entwickler vor einer großen Anzahl an Optionen. Ein Beispiel: Bei einem MLLC mit 100 nF und Bauform 0402 bietet ein bekannter Distributor derzeit schon einmal 374 Möglichkeiten an. Lässt man hier den Entwickler in der Entscheidung freie Hand, entstehen schnell unnötige Einschränkungen. Deshalb empfiehlt sich bei der Beschaffung und Festlegung neuer Bauteile eine klare strategische Vorgabe oder eine Prüfung durch entsprechende Abstimmung und Zusammenarbeit mit der Einkaufsabteilung. Bei der ausgelagerten Fertigung über EMS-Dienstleister ist es wichtig, deren Lager zu berücksichtigen und/oder zu kennzeichnen, welche Bauteile nicht auf einen Typen oder Hersteller festgelegt sind. Ausgewählte Bauteile sollten eindeutig identifizierbar sein. Neben der Festlegung der elektrischen Werte und der Bauform des Bauteils sind auch Angaben über die Spannungs- und Toleranzklasse relevant.

Welche Vorgehensweise ist sinnvoll und welche Angaben sollte die Stückliste/BOM enthalten?

Gezielte Auswahl neuer Bauteile:

  • Analyse zur Produktdefinition in der Vorprüfung (PDR), Critical Design Review (CDR) etc.
  • Klassifizierung der eindeutigen, zweideutigen und fehlerhaften Teileidentifikationen/-beschreibungen
  • Identifizierung der Ursachen für unzureichende Bauteilebeschreibungen
  • Alternative Bauteile, Second Source

Minimal Angaben für eine exakte Bauteile-Identifikation

  • Name und/oder Beschreibung
  • Teilenummer(n) aus dem OEM(s)/OCM(s)
    Namen der OEM(s)/OCM(s)
  • Hersteller-Code (CAGE = Commercial-and-Government-Entity-Code)
  • NSN-/NATO-Nummer (National Stock Number oder NATO Stock Number)
  • Anzahl der benötigten Teile pro Baugruppe

Obsol21 Bild1 1

Darüber hinaus sollte man folgende Punkte generell berücksichtigen:

  • Verfügbarkeit der ausgewählten Bauteile prüfen, insbesondere bei neuen Typen
  • Abkündigungen und „End of Life“ (EOL) und „Part Change Notification“ (PCN) prüfen
  • Immer A-Bauteile wie Controller, Speicher, Stecker, Display usw. auf Lieferzeiten prüfen
  • Auch C-Bauteile frühzeitig auf Lieferfähigkeit prüfen
  • Frühe Abstimmung mit dem Baugruppenfertiger, BOM-Analyse
  • Materialbeschaffung für Serienstart früher planen und Material früher bestellen
  • Regelmäßige Überwachung der Materialien

Kurz gesagt, es empfiehlt sich, weitsichtig zu denken und zu planen:

  1. Ersatztypen festlegen, Second Source in die BOM aufnehmen.
  2. Bei kritischen Bauteilen alternative Gehäuseformen im Layout vorsehen.
  3. Frühzeitige Serienplanung und Materialbeschaffung, ggf. Lagermenge anlegen.
  4. Vorsicht bei Bauteilen wie Displays, MEMS Mikro, Powermodule usw., Material optional selbst bevorraten.
  5. Ggf. „alternative shapes“ für kritische Bauteile vorsehen.
  6. Je größer die Serie, desto wichtiger ist eine frühzeitige Planung.
  7. Bei Ersatzbeschaffung über Broker oder Refurbished-Anbietern ist Vorsicht geboten. Hier empfehlen wir das Röntgen und einen elektrischen Qualifizierungs- oder Vergleichstest.

GED verfügt aus mehr als 30 Jahren Erfahrung in Entwicklung und Design über Designstrategien, die bestimmte Risiken deutlich minimieren können. Bereits beim Leiterplattendesign kann man mit vielen kleinen Maßnahmen dafür sorgen, dass alternative oder ähnliche Bauteile eingesetzt werden können. Das reicht vom alternativen Footprint bis hin zur weitsichtigen Platzierung der Bauteile und anderen Design-Maßnahmen.

Obsol21 Bild2

 

Bauteil ist nur im anderen Gehäuse lieferbar?

Für die Möglichkeit alternativer Gehäuse ohne ein Redesign auf der Leiterplatte entwickelt GED sogenannte Interposer-Module. Die Umsetzung des Footprints wird auf einer kleinen HDI-Leiterplatte vorgenommen. Optimal dafür ist, wenn das alternative Bauteil eine kleinere Bauform hat. Auf dem Modul kann ggf. auch noch eine Schaltungsanpassung mit aufgebracht werden. Ist das Bauteile größer, kann das alternative Bauteile auf ein Pinheader montiert werden, der über die anderen Bauteile der Leiterplatte ragt.

Interposer Modul mit alternativem Bauteil Footprint
Interposer Modul mit alternativem Bauteil Footprint

Obsol21 Bild4

Fazit:

Die gesamte Elektronikbranche steht vor akuten und massiven Her­ausforderungen in der Supply Chain. Denn hier stehen nicht mehr die Preisänderungen im Vordergrund, sondern dass es überhaupt geliefert werden kann. Dabei ist die beste Strategie, frühzeitig zu planen und zu beschaffen. Sprechen Sie mit Ihren Lieferanten für Ihre Entwicklungsprojekte und Bedarfe im Jahr 2022 am besten jetzt. Wir unterstützen Sie gern!

Empfohlene Beiträge